Anfang Dezember in der Fußgängerzone. Beim Bäcker. Bäcker verkaufen jetzt ja auch immer Kaffee.

Hinter zwei Frauen stand ich an, weil ich Hunger und Kaffeedurst hatte. Die beiden Frauen – Mitte, Ende sechzig. Wattierte Jacke mit Webpelz an der Kapuze – beide. „Wir probieren mal so einen Togo-Kaffee“, sagte die eine zu der anderen. Ich hatte vermutet, das hätte sich bloß einer von diesen Comedy-Spaßvögeln ausgedacht: Togo-Kaffee statt „Coffee to go“, aber sie meinte das ernst. Und es sollte noch besser kommen. Die Verkäuferin hinter dem Tresen fragte nach: „Zum Mitnehmen – oder zum Hiertrinken?“

Nee, is klar, dachte ich. Coffee to go – zum Hiertrinken. Wäre das nicht ein „Coffee to stay“?

Doch die drei konnten gar nicht mehr aufhören mit der Comedy-Show. „Na, zum Hiertrinken natürlich. Ich renn’ doch nicht mit der Tasse auf der Straße rum.“ – Die Verkäuferin hatte gar nicht zugehört und fragte stattdessen: „Wollen Sie den Kaffee mit Geschmack?“ – Jetzt wurde es eng für mich: Ich hatte so eine Mühe, nicht unverschämt laut loszulachen. Kaffee ohne Geschmack wäre dann wohl heißes Wasser!

„Wir haben Karamell, Schokolade und Haselnuss.“ – Jetzt kam die Rückfrage, mit der ich irgendwie schon gerechnet hatte: „Ham Se auch Kaffee-Geschmack?“ Es wurde dann noch geklärt, dass der Kaffee immer nach Kaffee schmecken würde und die Frage ging dahin, ob er zusätzlich noch nach etwas anderem schmecken sollte.

Kurz und gut – ich will ja noch aufs Thema kommen. Schließlich sitzen die beiden mit zwei Kaffeepötten ohne Geschmack am Tischchen und stellen fest, dass der Togo-Kaffee im Grunde ja ein ganz normaler Kaffee ist.

Sie sind am Ende dabei angekommen, was ihnen bekannt vorkam – was sie im Grunde auch wollten: zusammensitzen bei einer Tasse Kaffee, klönen und Leute gucken. Richtig so, denke ich und sitze am Tisch nebenan mit meinem Streuselkuchen und einem Milchkaffee.

Andere hingegen – und es sind nicht wenige – die schlürfen mit ihrem Kaffee-Pappbecher durch die Straßen oder fummeln das Ding in den Getränkehalter im Auto.

Ich will nicht falsch verstanden werden: Mir ist das einigermaßen gleichgültig, ob ein Mensch seinen Kaffee zu Hause, im Café, beim Bäcker oder unterwegs trinken möchte – aber bitte nicht in einem Ex-und-hopp-Becher. Ich frage mich nur, welches Bedürfnis dahinter steckt. Zweifelsohne lässt sich eine halbstündige Auto- oder Zugfahrt auch ohne ein Heißgetränk bewältigen, ebenso ein Einkaufsbummel.

Ich habe dazu ja einen Verdacht. Dieser Kaffeebecher schafft ein kleines bisschen Zuhause unterwegs. Der Geschmack – egal ob mit oder ohne – der Geruch, die Wärme: Das ist ein ganz klein bisschen wie ein schönes Sonntagsfrühstück mit den Lieben zu Hause – mitten in einer als unwirtlich empfundenen Zeit. Der Kaffeebecher stellt sogar ein bisschen Individualität her. Nicht einen einfachen Kaffee hat ein Mensch da im Becher, sondern Latte Macchiato, Caffè Lungo, Cappuccino. Jeder hat seine Sorte – ich ja auch. Mal viel Milch, mal wenig, mal gesüßt oder mit Soja.

Für mich sieht es ein wenig danach aus: Wer sich in mehr oder weniger anonymen Massen bewegen muss, braucht etwas, woran er sich hält, um sich nicht selbst in dieser anonymen Masse zu verlieren. Das muss nicht zwangsläufig der Pappbecher voll Kaffee sein – für andere ist es vielleicht eher die Musik im Ohr oder im Autoradio, eine Zigarette oder ein Buch.

Vielleicht sind das lediglich Verhaltensmuster oder es ist das, was wir mit „blöden Angewohnheiten“ abtun wollen. Keiner will sich ja gern als jemand sehen, der auf derlei Hilfsmittel angewiesen sein könnte. Doch machen wir uns nichts vor: Wir sind angewiesen. Wir sind darauf angewiesen, dass es dieses Zuhause-Gefühl gibt. Das ist ein menschliches Grundbedürfnis. Ein uraltes. Ein Licht im Dunkeln. Ein Zuhause in der Fremde.

In einer Welt, die uns ratlos macht mit ihren Trumps, Nationalisten, neuen Schreiern mit alten Parolen, Kriegsprofiteuren und und und … in einer solchen Welt brauchen wir einen Halt. Es geht doch wohl nicht mir allein so, dass nicht mehr zu verstehen ist, was da draußen los ist.

In der Togo-Kaffee-Bäckerei liegt der Gemeindebrief einer Kirchengemeinde auf der Fensterbank aus … da steht auf der Rückseite etwas von der Weihnachtsgeschichte: „Friede auf Erden!“ Friede auf Erden? Da gibt es aber noch Luft nach oben! Atomraketen, Menschenhandel, Sklaverei, Fremdenhass und Streit um das Laub aus dem Nachbargarten – das hat diese Welt immer noch im Angebot. Welch ein Wahnsinn!

Die beiden Frauen neben mir unterhalten sich; da sie nicht gerade leise sprechen, kann ich manches aufschnappen. Es geht um die Familienbesuche zu Weihnachten – was das alte Jahr gebracht hat und was wohl 2019 bringen wird – eine geht in Rente – bei der anderen steht die Hochzeit des Sohnes an – es ist wohl die zweite Ehe, denn es soll nicht so groß gefeiert werden …

Es ist es gut jemanden zu haben, mit dem man reden kann – beim Kaffee oder sonst wo – miteinander reden und versuchen, das Leben zu sortieren: das, was war – das, was kommen mag – kommen wird – Ängste und Befürchtungen aussprechen zu können, aber auch Hoffnungen und Wünsche zu artikulieren.

Gerade in der Zeit des Jahreswechsels – der Kalender 2018 ist durch – 2019 ist dran – sich verständigen über das, was gut ist bzw. war – oder auch was sein wird im neuen Jahr, von dem ich nicht weiß, was es bringt.

Das gilt für mein kleines Leben – das der beiden Frauen neben mir – das gilt für unsere Stadt und für die 2019 anstehenden Wahlen – die Stimmung in unserem Land – anstehende Entscheidungen zur Begrenzung der Erdüberhitzung.

Welche Folgen wird das haben, was in 2018 beschlossen wurde? Oder eben gerade auch nicht!

Inzwischen habe ich den letzten Rest Milchschaum ausgelöffelt, und vom Kuchen sind nur noch ein paar Krümel auf dem Teller.

Die beiden Frauen mit Webpelz haben wohl noch genug Gesprächsthemen und werden sicher noch einiges zu klären haben bei ihrem TO-GO-Kaffee …

Ulrich Klein ist Pastor der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Bremen-Blumenthal und Umweltbeauftragter der Bremischen Evangelischen Kirche