Staubige Orte, schmutzige Ecken

Putzen als Lebensform

PUTZEN FEGEN WISCHEN WIENERN WICHSEN REINIGEN SÄUBERN WASCHEN TILGEN BÜRSTEN REIBEN POLIEREN FEUDELN KRATZEN BOHNERN ENTFERNEN SCHEUERN RÄUMEN BESEITIGEN SCHRUBBEN KEHREN PFLEGEN

I.

Alle Geschichten können natürlich auch anders erzählt werden – doch wenn M an Onkel Heinz dachte, dann gab es nur diese Perspektiven:

Sein Onkel war leidenschaftlicher Raucher besonderer Marken: Red Rock, Senoussi, Finas. Zusammen mit Cousine Biggi galt Onkel Heinz als ungekrönter König im Kochen von Tütensuppen.

Und nun zur wichtigsten Eigenheit: Er war ein gewiefter Planer vom Frühjahrsputz, nicht etwa ein erfahrener Staubsauger, ein Anpacker – nein: ein Planer.

Erst nach dem Osterspaziergang sei die Zeit für den Hausputz gekommen, so seine beharrliche Empfehlung, denn erst dann seien ja Strom und Bäche befreit „durch des Frühlings holden, belebenden Blick“, wie im „Goethe-Faust“ beschrieben.

Was qualifizierte denn Onkel Heinz zum Stichwortgeber in Sachen Putzstart?

Nun, seine Schwester, Ms Mutter, war bei Hoffmann‘s Stärke angestellt. Und diese Firma hatte die sich putzende Katze als Symbol der Sauberkeit im Firmenschild verankert.

So einfach war das.

II.

Von Onkel Heinz hatte M erfahren, dass Produkte, die der Hygiene und der Sauberkeit dienen, auch zu den ersten Markenartikeln wurden. Um 1900 sind beim Reichspatentamt nämlich bereits rund 10.000 Reinigungsmittel registriert gewesen: Odol (1893) etwa war schon um die Jahrhundertwende der Inbegriff für Mundhygiene.

Erdal (1903), Leukoplast (1901), Persil (1907) und Nivea (1912) wurden in den Folgejahren die klassischen Markenprodukte – durch erfolgreiches Zusammenwirken von Massenproduktion, Reklame und so erzeugter Nachfrage.

Doch das interessierte M nur am Rande, ging es ihm doch aktuell um Geräte und Mittel, den Frühjahrsputz zu starten und erfolgreich über die Runden zu bringen.

Und so fand er sich wieder im Baumarkt von „toom“ vor Regalen mit Putzmaterial – viele Sorten versammelt, die derselben Sache dienen; diverse Geräte, die allesamt etwas mit Sauberkeit zu tun haben – dazu seine simple Frage: „Wie viel Schmutz kann ein Mensch überhaupt erzeugen und ertragen?“

M erinnerte sich an schlimme Geschichten von Seeleuten, die mit Zahnbürsten das Deck zu schrubben hatten, um ihre Untaten oder vermutete Schandtaten zu sühnen. Auch hatten einige Kumpel, die beim Bund „dienten“, ähnliche Geschichten auf Lager.

Nur dunkel erinnerte er sich an den „Wolfsmann“, eine Falldarstellung von S. Freud. Dieser Wolfsmann, ein Zwangsneurotiker, hatte als kleiner Junge sein Kindermädchen auf den Knien putzend gesehen und durch dieses Bild a-tergo-Erinnerungen ans Licht gezogen.

Wie immer M die Sache mit dem Schmutz auch drehen und wenden wollte, sie blieb unklar und vor allem unbehaglich. Denn sauber galt als schön und gut. Sauber war oben. Schmutzig war hässlich und anderswo. Und immer unten.

III.

„Putzmittel, aber vernünftige“, hatte M auf seinen Einkaufzettel geschrieben. Nun also stand er vor riesigen Regalen im Baumarkt: Reiniger für die Küche, das Bad, die Fenster, den Backofen, den Fußboden, den Teppich: Plötzlich eröffneten sich überwältigende Möglichkeiten von Arbeitseinsätzen für alle Putzende. Galerien voller Roboter, Staubsauger mit Namen wie „Vampir“, keine Blutsauger, vielmehr wahre Sauger – der sexuelle Beigeschmack wirkt schal.

Da kommt „Der General“ daher in unterschiedlichen Varianten für generalstabsmäßige Planung, Dramatisierung und Durchführung der Putz-Aktionen. Er appelliert an Stimmungen vom Putzer mit unerbittlichem Befehl: „Ich bin der General!“ Widerworte werden nicht gemacht, totales Engagement ist angesagt.

„Meister Proper“ macht auf Witzbold und will den Verbraucher – augenzwinkernd – zum Problemlos-Job verführen. Mit Arbeit hat er nichts am Hut, mit ihm geht nämlich alles wie von selbst. „Nimm es nicht so genau, die glänzende Oberfläche reicht doch völlig aus“ heißt hier die frohe Botschaft.

Der „Frosch“ hat andere Versprechen im Visier; die Verpackung macht er erst mal selbst zum Thema: aus Ruinen neu entstanden. Eitler Glitzer ist des Frosches Sache nicht. Durch seine Nähe zur Natur nimmt er Verschmutzungen nicht krumm und duldet großzügige Blicke auf unperfekten Glanz. Sein Credo könnte heißen: „Zwar mache ich deine Bude nicht restlos sauber, dafür die Natur aber nicht kaputt.“

IV.

Die drei Marken, das wurde M jetzt auch schnell klar, bringen sich in Position. Mit Appellen wollen sie Verbrauchertypen an sich binden: Es geht dabei um Selberputzer, nicht um Firmen.

„Da hat sich ja allerhand geändert in all den Jahren“, sinnierte M nun vor sich hin und erinnerte sich an Wohnformen zu Beginn der achtziger Jahre.

Zum Beispiel: sein Leben mit anderen im Vegesacker Wilmannsberg. Geige spielen galt als bürgerlich, Alpenveilchen waren halb-faschistisch und Sauberkeit war schlicht anal.

Später tönte es durch Flur und Küche: „Ein herrlicher Tag zum morgendlichen Hausputz!“

Seine damaligen Mitbewohnerinnen und Mitbewohner Maren, Ingo und Maria können heute – technisch geredet – drei unterschiedliche Putztypen einnehmen.

V.

Zum Beispiel Maren. Ein Putztyp mit dem Ziel, endlich die endgültige klinische Sauberkeit zu erreichen, dabei voll hygieneorientiert, mit antiseptischem Zugang. Putzmittel: „Der General“.

Maren, die überzeugte Single-Frau mit strenger Vorstellung von Sauberkeit, gerüstet mit einem Ich-Ideal, das sie immer nur besonders quält.

Keimfreiheit in Wohnung und Leben gilt ihr als oberstes Gebot. Meist läuft sie mit Maske beim Putzen in ihrer Wohnung herum. Maren nimmt an, dass Putzen ihr inneres Chaos verringert und dass ihre geordneten Zimmer auch ihre aufgeräumte Seele offenlegen.

Meist ist sie erkältet. Freunde vermuten, ihre strikte Hygiene unterstütze die Verbreitung von allerhand bekannten Allergien.

Maren allerdings hält unbeirrbar fest am Ziel: völlige Reinheit durch Befreiung von mindestens allen Keimen.

Ganz anders Ingo. Ein Putztyp mit dem Ziel, eine schöne und glänzende Oberfläche beim Inventar hinzukriegen. Putzmittel: „Meister Proper“.

Ingo lebt zusammen mit seiner Frau in einem Reihenhaus in Schönebeck; bei seinen Besuchen kann M dann schnell notieren: Putzen hat sich durchgesetzt, ist endlich demokratisch geworden. Sogar Ingo hilft hier mit.

Er poliert die Musikbox – eine riesige Musikanlage – und wienert an Schänken herum. Glanz muss in die dunkle Hütte. Vom Staube befreit werden Tisch und Stühle. Weitere Arbeiten kann er getrost seiner Frau überlassen.

Ingo weiß, dass maßloses Putzen die Beziehung killen kann. Und deshalb gilt für ihn die kluge Einsicht: „Wer viel putzt, der streitet viel. Also: putze wenig.“

Ein Großputz kommt für Ingo nicht in Frage, denn so könnte er an überflüssige Dinge erinnert werden, die sich in manchen Ecken eingefunden haben. Auch sollten einige Schränke bei ihm nie geöffnet werden: Wer will denn schon gerne an frühere Sünden erinnert werden?

Zum Schluss kommt nun Maria dran. Ein Putztyp mit dem Ziel, endlich eine Theorie über die Herkunft des Schmutzes zu haben – konkretes Putzen wird dann schnell zum Nebenjob. Putzmittel: „Frosch“.

Maria, alleine lebend, ist selbstständige Dienstleisterin. Vierteljährlich muss sie Büro-Aufgaben erledigen, die sie nur für nervig hält. Es mag seltsam klingen, aber drei Monate gammeln dann ihre Putzmittel vor sich hin, Besen und Wedel stehen in den Ecken ab.

Wenn es nämlich um Schreibtisch-Arbeiten geht, dann kommt diese seltsame Lähmung über sie hinweg.

Kaum sitzt sie am PC, schlägt die Mattheit blitzschnell in Hektik um, allerdings auf gänzlich anderem Terrain. Psychologen reden dann gerne von Handlungen im Übersprung.

Für Maria gibt es dann kein Halten mehr, urplötzlich kommt sie in enorme Fahrt, sieht Staub auf Büchern, den es vorher nie gegeben hat. Staubmäuse werden zu den besten Freunden, und den Deponien von Schmutz und Staub kann sie Botschaften über ihre seelischen Abgründe entnehmen.

Betrachter von außen merken schnell, wer hier die Feder führt. Nur selten hat das Unbewusste noch ein Blatt vorm Mund.

VI.

Marens unwiderstehlicher Putzdrang, Ingos lässiges Abfinden mit polierten Flächen, Marias plötzlicher Entschluss, Bücher zu entstauben, wenn Unangenehmes zu erledigen ist:

Wir könnten uns leicht darüber erheben, moralische Urteile fällen oder Zensuren verteilen. Auch könnte ein anderer Beobachter mit leichter Hand ganz andere Erzählungen über diese Menschen ins Feld führen. Doch darum geht es nicht. Es sollen ja keine gültigen Aussagen zum Handeln und Verhalten dieser Personen gegeben werden. Ohnehin wäre es nicht besonders klug, in wohlformulierten Formel diese Menschen als bloße „Typen“ festnageln zu wollen.

Ein „Typus“ ist ein Konstrukt, kein lebendiger Mensch. Die Frage, ob es ihn gibt, ist falsch gestellt. Wir können allerdings darüber nachdenken, ob dieser Ausdruck unsere Aufmerksamkeit für die dargestellten Phänomene schärft.

VII.

Seien wir ehrlich. Arbeit, auch Hausarbeit, ist – gemessen an der früheren Bedeutung – entmachtet worden. Kohlen müssen nicht mehr hochgeholt werden, der große Wäschetag samt bügeln und sortieren ist verschwunden, das Geräusch von Teppichklopfern höchst selten geworden. Sichtbare Arbeit stand damals im Mittelpunkt.

Heute hat sich die Sinnfrage davor geschoben: Welchen Grund gibt es, den Putztag ausgerechnet heute durchzuführen?

Nicht angemeldete Besucher – früher fast selbstverständlich – sind selten geworden. Wir brauchen nicht mehr sofort herumliegende Socken oder Zeitschriften wegzuräumen, weil der Besuch unsere Unordnung nicht sehen soll.

Die „Schöner-Wohnen-Ästhetik“ entstammt früheren Zeiten – vor allem aber Katalogen und Hochglanzbroschüren. Diese Ästhetisierung des Privaten konnte schnell Schamgefühle angesichts der eigenen Wirklichkeit erzeugen. Unordnung, Staub und Schmutz sind in unseren eigenen ästhetisch durchaus anspruchsvollen Rumpelkammern fast selbstverständlich geworden.

Und dennoch: Wenn M sich hätte entscheiden dürfen, dann würde er bei Maren die Toilette benutzen, sich bei Ingo Musik anhören und die glänzende Anlage bewundern und danach bei Maria ein Weinchen trinken.

Aber erst dann, wenn sie die Staubmäuse entsorgt hätte.

VIII.

Und Onkel Heinz?

Am Ende eines langen Putz-Tages im Frühjahr – das ließ sich Onkel Heinz nicht nehmen – tauchte er mit diversen neuen Tütensuppen auf.

M hat nie herausbekommen, ob es dem Onkel um die Begutachtung der Arbeit oder um das gemeinsame Suppenessen zum Abschluss des Tages ging. Im Grunde kommt es darauf auch gar nicht an.

Vermutlich ist ihm ja beides gleich bedeutsam gewesen.

Der Putz-Tag aber konnte erst dann zu einem versöhnlichen Abschluss gebracht werden, wenn der Onkel der gesättigten Putzkolonne die erlösenden Worte aus des Faustens Osterspaziergang aufsagte:

„Zufrieden jauchzet groß und klein:

Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.“

Jürgen Meierkord – Kulturbeobachter

Juergen Meierkord

Jürgen Meierkord – Kulturbeobachter

Hoffmans Stärke