Und es war Sommer…

In den mittleren Julitagen, genauer wissen wir es nicht, verschwindet plötzlich unsere Kanzlerin. Konnten wir uns bisher auf ihr Urlaubsziel verlassen – nicht unähnlich ihrem Vorgänger Wolfgangsee-Kohl – so ist in diesem Sommer alles anders. Eine alte Zeit geht zu Ende, eine neue Epoche hebt an.

I.

Auch im Bremer Norden gerät einiges durcheinander: Ortsamtsleiter Dornstedt sucht seinen Panama-Hut – in diesem unnachgiebigen Sommer sein wichtigstes Kleidungsstück. Auf dem Wege zur Signalstation überlegt er krampfhaft, welcher entscheidende Satz in seiner Rede zur Einweihung der Gezeitenstation fallen soll. Zwar weiß er, dass Gedanken sich erst allmählich beim Reden verfertigen, doch schlecht ist es nicht, wenn sie sich um eine prägende Formel ranken. Und tatsächlich: Wie selbstverständlich überkommt es ihn: „Das einzig Beständige ist der Wechsel.“ Wie meint er das? Spricht er von Ebbe und Flut? Oder geht es ihm um die anschwellende gesellschaftliche Gereiztheit?

II.

Zur selben Zeit sitzt Ortsamtsleiter Nowack in seinem Zimmer und schaut zum Fenster hinaus. Es ist einer dieser heißen, die Stimmung trübenden Sommertage. Er ärgert sich über Frau Linnert.
… und es war Sommer! Denn die hat ihm seinen Plan versemmelt. Wo die Strandhalle war, da sollte doch Sand hin. Eine „Chill-out-area“, in Nowacks Sprache. Was für ein schöner Name! In Paris und in anderen Zentren selbstverständlich, in Blumenthal plötzlich tabu. Frau Linnert zieht nicht mit. Davon lässt Nowack sich nicht kirre machen; er denkt ratzfatz an einen Satz, den Oswald Spengler bei Vorarbeiten zum „Untergang des Abendlandes“ im Tagebuch notierte. Er vertrage, so Spengler, den geistigen Umgang mit gewissen Frauen nur in kleinen Dosen.

III.

Wo steckt eigentlich Ortsamtsleiter Boehlke? Wir wissen es nicht. Vielleicht ist es ihm einfach zu heiß in seiner Amtsstube. Und der freie Himmel in Knoops- Park verführt ja auch zu wilden Träumereien. Auch Frau Merkel ist weg. Spurlos verschwunden. Einfach so.

IV.

Heiko Dornstedt flippt aus. Eine Konkurrentenklage steht ins Haus, so lautet die Botschaft, die er soeben empfangen hat. Er denkt an das Klageverfahren zu Beginn seiner Amtszeit vor zehn Jahren – und an das Patt in Burgdamm, was sieben lange Jahre währte. Zutiefst verstört blickt er zurück auf die Abstimmung am 07. Juni: Elf Stimmen hatte er vom Beirat bekommen – das ist doch mal Werbung ohne falsche Bescheidenheit! Noch lässt Dornstedt sich nicht entmutigen.

V.

Peter Nowack springt vorm Ortsamt mehr aus seinem Auto als dass er ihm entsteigt und stürzt zur Tür hinein ins Arbeitszimmer. So läuft das nicht! Da muss der Prange beim ISEK aber nachliefern! Der Berufsschul-Campus ist genial. Aber dann muss ein weiteres Gleis nach Blumenthal her, um den S-Bahn-Takt zu steigern! Und mit Blick auf Dornstedts Vegesack: „Wir beschweren uns auch nicht darüber, dass jeden Tag mehr als hundert Schüler von Blumenthal ans Gymnasium Vegesack fahren.“ Doch im Moment hat Nowack andere Sorgen. Der „E-Day“ auf dem BWK-Gelände muss beworben werden. „Yesterday meets tomorrow“: da ist es, das Motto, rausgehauen aus dem Nichts. Und wenn „Weserperle“ und „Crossfire“ auch noch richtig loslegen, dann kann man die BreNor getrost vergessen! Ergriffen von seinen eigenen Überlegungen, begibt er sich zum Mittagstisch.

VI.

Wir dürfen Florian Boehlke nicht vergessen! Ja, ja, ist gut. Er kommt ja schon. Bitte nicht so laut. Er sitzt doch an seinem Dienstschreibtisch. Und telefoniert. Es geht um den Umbau des P+R-Platzes am Bahnhof St. Magnus. Boehlke will eine zweite Zufahrt. Für Mitte August organisiert er gerade ein Treffen mit Vertretern vom Amt für Straßen und Verkehr. Schweißgebadet blinzelt er ins grelle Mittagslicht. Geht doch.  Läuft. Von Frau Merkel keine Spur. Einfach nichts.

VII.

Herrschaftszeiten! Von ermatteter Geschäftigkeit ist im Vegesacker Ortsamt nichts zu spüren. Endlich können bemalte Granitsteine für die Fußgängerzone ausgestellt werden. Und das geschieht nicht virtuell, nein: in Wirklichkeit! Dornstedt ist erleichtert. Nun wird niemand mehr das „Blaue Band“ erwähnen. Ein einziger Albtraum, dieses Ding. Blöde ist jetzt nur, dass die Einweihung vom „Maritimen Band“ nicht vor dem Start des „Festival Maritim“ klappen wird.

VIII.

Es ist ein anstrengender Sommer. Zurück in die Landrat-Christians- Straße. Peter Nowack läuft im Ortsamt hin und her. Beim Sitzen, das weiß er, haben wir festsitzende Gedanken. Er will die Minigolf-Anlage reaktivieren. Da müssen Ideen her. „Geld ist nicht alles, wir brauchen auch Knowhow!“ Aber ein bisschen Kohle darf es dann schon noch sein. „In zwei Jahren 25.000 Euro.“ Und außerdem könnte man „auf jede Bahn ein Firmen-Logo lackieren.“ Bleibt diesem Mann denn nie die Puste weg?

IX.

Florian Boehlke schweigt. Öffentliche Verlautbarungen sind bei dieser Hitze seine Sache nicht. Er hält sich bedeckt, lacht sich ins Fäustchen und freut sich auf das GartenKultur-Musikfestival. Auf den „Sommer in Lesmona“ sowieso. Und auf das „Dixiland am Lesumhafen“.

X.

Ein alles durchdringender Aufschrei im Gebäude am Sedanplatz. Heiko Dornstedt sitzt am Telefon. Anruf von der Staatskanzlei. Es gibt keine Probleme mehr! Der Mitbewerber hat seinen Eilantrag zurückgezogen. Und Dornstedt kann der Presse sagen: „Ich freue mich sehr, dass endlich Klarheit herrscht.“ Schon am nächsten Tage wird sein Dienstherr ihn ernennen. Beamter auf Zeit, immerhin. Darum geht es.

XI.

Und schon kommt Peter Nowack wieder dran. Den nämlich treibt was anderes um. Die Müllkippe in der George-Albrecht-Straße ist sein Thema. Eine Geschichte ohne Ende. Da müssen endlich alle Behörden zusammengetrommelt werden! Aber bloß nicht jetzt! Raus aus der kühlen Amtsstube und ab in die Hitze; die Senatorin ruft zur Einweihung vom Jahrgangshaus an der Egge. Dem Alb der eigenen Schulzeit an diesem Ort entflohen, kann Nowack nun locker von „großartiger Leistung“ sprechen. Damit meint er die des Architekten, nicht die der Schüler. Die sollen ja erst noch ran.

XII.

Und unsere Kanzlerin? Nichts zu hören! Stattdessen tritt die zweite Reihe auf: In diesen Zeiten der Dürre sollen Frau Klöckners Bauern nicht im Regen stehen bleiben, Herr Spahn will seine Drogies nicht im Stich lassen und Frau von der Leyen kämpft für eine Armee von Freiwilligen – bis zur letzten Patrone. Alles klar? Frau Merkel muss her! Sofort! Auftauchen, bitte, bitte! Und Regen mitbringen! Die Gemüter in Berlin sind überhitzt, die Hirne dämmern nur noch vor sich hin!

XIII.

Nicht so im Bremer Norden. Zurück zu Heiko Dornstedt. Der lädt zum Sommer-Interview und verspricht doch glatt, er werde „künftig besser zuhören.“ Peter Nowack träumt zur selben Zeit von „Drehliegen“ auf Holzterrassen am Weserufer. Und Florian Boehlke? Er schmiedet einen Plan. Davon ewrden wir demnächst hoffentlich mehr erfahren. Psssst. Es regnet. Erlösung – entgegen bisheriger Vergeblichkeit. Die Kanzlerin tritt auf. Und formt ihre Hände zur geheimnisvollen Raute. Sie spricht von Eckdaten zum Einwanderungsgesetz. Aha. Wir hören und wissen: Unsere Geschichte ist noch lange nicht zu Ende …

Quellen: DIE NORDDEUTSCHE,
Ausgaben vom 18. Juli bis 17. August 2018

Gastbeitrag von Jürgen Meierkord

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