In diesem Jahr bin ich auf „Cafehausgeschichten“ gestoßen. Das Buch des Vegesackers Jürgen Harnik trägt diesen Titel. Er erzählt, wie er im Cafe´ sitzt und beobachtet, was um ihn herum vorgeht. Nichts Spektakuläres – Ehepaare schweigen, Tierfreunde nerven, Einsame suchen Anschluss…

Jürgen Harnik schenkt allen diesen Menschen Aufmerksamkeit, er gibt den kleinen Begebenheiten des Alltags Bedeutung. Genau wie die Weihnachtsgeschichte: Sie wirft Licht auf einen Ort am Ende der Welt, Bethlehem, und auf eigentlich bedeutungslose Menschen wie Maria und Joseph, Hirten und sogar ein Neugeborenes. Und damit erleuchtet sie den bereiten Leser. Ihm enträtselt sich auf einmal die Welt.

Der Leser findet sich in den Hirten wieder, in Menschen, die den Sinn ihres Lebens verstanden haben: Gott wollte sie finden – und hat sie gefunden. Ich sehne mich auch danach, von ihm gefunden zu werden und mich von ihm führen zu lassen.

Ob Jürgen Harnik sich als religiös bezeichnet, weiß ich nicht, das spielt auch keine Rolle. Er lässt sich begeistern und entdeckt unter dem Gewöhnlichen das Besondere. In seinen Geschichten lässt er sich als Menschenfreund erkennen, der nicht davon ablässt, Menschen schön und interessant zu finden. Das ist schon eine Art von Glauben. Der tatsächliche Mensch gibt genug Anlass an ihm zu zweifeln. Der Autor aber vertraut darauf, dass jeder Mensch noch mehr ist, als er in seinem Alltagsverhalten zeigt. Dass unter all dem Nichtigen Wert und unter all dem Gemeinen Güte ist. Dass unter der Oberfläche eines oft ziemlich banalen Lebens Heiliges auf seine Offenbarung wartet.

Deshalb sehe ich mich als religiösen Menschen: Ich glaube nicht an die Banalität des Lebens, an die Dummheit des Menschen, an den Untergang des Planeten. Auch wenn es für alle diese Erscheinungen manchen Beleg gibt, sagt mir ein starkes Gefühl: Das ist nicht alles. Und wie sich in der Weihnachtsgeschichte der Himmel öffnet und die Menschen auf einmal Engel sehen und singen hören, strahlt in der Welt immer wieder auch Glanz auf. Wie im August am letzten Abend des Festivals maritim.

Mancher Nordbremer wartet gerade auf dies Ereignis in der Abenddämmerung des Sonntags. Alle Musiker des Festivals versammeln sich im Stadtgarten – und stimmen gemeinsam ihre Lieder an: Polen, Engländer, Holländer, Iren, Kanadier, Deutsche. Die Politiker ihrer Länder liegen mitunter miteinander im Streit, aber sie rücken eng zusammen, fassen sich um die Hüften und erzählen zum Beispiel die Geschichte der Dubliner Fischverkäuferin Molly Malon. Ein liebes, armes Mädchen, wird nicht alt und stirbt einen unglücklichen Tod. Aber ihr Geist lebt weiter in der Grafton Street in Dublin und die Menschen vergessen sie nicht. Ein Lied von Ewigkeit, die die Zeitlichkeit umgibt. Und die Sänger und ihre Gäste mit brennenden Wunderkerzen ergeben zusammen ein Bild des Friedens.

So was Schönes haben wir Nordbremer im zu Ende gehenden Jahr erlebt. Die Weltpolitik spielt verrückt – an jedem Freitag berichtet die Nordbremer Friedensinitiative in der Gerhard-Rohlfs-Straße darüber. Es ist schon ein Wunder, noch an die Menschheit glauben zu können. Ja, ein Wunder! Der  Zyniker meint, dass nun seine Stunde gekommen sei: Leute, begreift doch endlich: Ist doch alles Irrsinn! Der Mensch taugt nichts! Und Gott ist tot! Aber die Botschaft eines Müßiggängers lautet anders. Jürgen Harnik, der sein Leben lang viel und hart gearbeitet hat, bezeichnet sich tatsächlich im Vorwort seines Buches als „Müßiggänger“. Er ruft seine Leser auf: Setzt euch hin, tut mal nichts, kommt zur Ruhe, guckt hin und seht, was Erstaunliches geschieht.

Die Weihnachtszeit lädt dazu ein, sich Zeit zu nehmen und sich zu fragen: Wo ist Sinn in meinen Tagen? Wo spüre ich, dass ich Teil von etwas Größerem bin, das mich umgibt und das mich braucht? Wer oder was will mich finden? Bin ich überhaupt bereit mich finden zu lassen?

Ein guter Ort dafür ist vor dem Weihnachtsbaum, oder in einer Kirche, oder in einem Café.

Wir bedanken uns bei

Pastor Volker Keller

Die Redaktion

Pastor Volker Keller

(Evangelische Kirche Vegesack)