Rezension zu „Das Mädchen, das den Blumen zuhörte“ von Stephanie Knipper

Im Januar 2019 erschien im Piper Verlag Stephanie Knippers Debutroman „Das Mädchen, das den Blumen zuhörte“, welcher im englischen Original den Titel „The peculiar miracles of Antoinette Martin“ trägt. Und damit befinden wir uns bereits mitten in der Geschichte, die Geschichte der zehn Jahre alten Antoinette Martin und ihrer Familie. Antoinette lebt mit ihrer Mutter Rose auf Eden Farms, gelegen in Redbud, Kentucky. Dort züchten sie Blumen, die sie dann vor allem an die ortsansässigen Geschäfte verkaufen. Roses kleine Schwester Lily lebt in Covington und arbeitet für eine Versicherungsfirma. Als Rose sie um Hilfe bittet, denn sie ist seit der Schwangerschaft schwer krank, fährt Lily, nach 5 Jahren, zurück nach Hause, nach Eden Farms. Der Grund für das lange Schweigen zwischen den Schwestern ist auch der Grund für das Wiedersehen: Antoinette. Denn Antoinette ist Autistin. Und Rose möchte, dass Lily sich nach ihrem Tod um ihre Tochter kümmert. Und das, obwohl Lily ihr diesen Wunsch schon vor Jahren abgeschlagen hat.

Was folgt, ist eine herzenswarme, berührende Geschichte über zwei Schwestern, die sich daran erinnern, wie es früher zwischen ihnen war und wie sie wieder zueinander finden. Eine Tante, die feststellt, dass sie und ihre Nichte sich gar nicht so unähnlich sind und dass man nur lernen muss, den Menschen zu sehen, nicht nur die Krankheit. Eine Mutter, die zwischen ihrem und dem Leben ihrer Tochter wählen muss. Ein Mädchen, das droht, von ihrer Hilfsbereitschaft getötet zu werden. Eine Tochter, die den Tod ihrer Mutter fürchtet. Eine alte und eine junge Liebe. Eine Gabe.
Und ein selbstloses Opfer.

Erzählt wird diese Geschichte aus drei Perspektiven: die eine richtet den Blick vor allem auf Lily, die andere auf Antoinette. Die dritte Perspektive stellt sich in Tagebucheinträgen dar, welche Roses Anteil erzählen. Im Unterschied zu den anderen zwei Perspektiven beginnen die Tagebucheinträge zehn Jahre vor den aktuellen Geschehnissen, während ihrer Schwangerschaft, und arbeiten sich, mit relativ großen Zeitsprüngen, bis in die Gegenwart vor.

Als besonders interessant finde ich hierbei den Blick auf Antoinette, da man dabei viel über ihre Gedankenwelt erfährt. Dies bleibt bei den anderen – insbesondere Lilys – Perspektiven aus, weswegen man sich, gerade zu Anfang, manchmal über Antoinettes Verhalten wundert, da sie sich nicht laut äußert und somit auch keine Erklärung für ihr Tun liefert, welches manchmal so unverständlich und impulsiv wirkt wie das eines Kleinkindes. Dabei steckt eine nachvollziehbare Motivation hinter ihrem Verhalten.

Sehr schön hierbei finde ich, dass der Leser Antoinette mit Lily zusammen kennenlernt; je besser Lily ihre Nichte versteht, desto mehr lernt auch der Leser über Antoinette – ihre Innensicht ist dabei eine enorme Hilfe. Außerdem liegt der Fokus nicht auf Antoinettes Autismus, sondern auf ihrer Gefühlswelt und ihrer Wahrnehmung. Diese sind zwar durchaus anders, aber nicht unverständlich. Wenn man keine Innensicht von Antoinette hat, wird vor allem die Reaktion der Umwelt auf sie geschildert, welche meistens mitleidig oder ablehnend reagiert. Und je besser man Antoinette versteht, desto mehr freut man sich über die Menschen, die Antoinette so behandeln, wie sie es verdient: wie ein Kind, eine vollwertige Person mit eigenständiger Persönlichkeit. Geschildert wird aber auch die Hilflosigkeit, die vor allem Lily verspürt, da sie am Anfang nicht nur überfordert von ihrer Nichte ist, sondern zudem glaubt, dass Antoinette sie hasst. Dabei ist Antoinette genauso überfordert; sie hat Angst, denn sie versteht durchaus, dass ihre Mutter krank ist und dass es immer schlimmer wird.

Stephanie Knipper hat mit „Das Mädchen, das den Blumen zuhörte“ eine zauberhafte, berührende und vor allem hoffnungsvolle Geschichte geschrieben, welche dem Leser noch lange in Erinnerung bleiben wird. Die Charaktere sind lebendig und machen eine sichtbare Entwicklung durch, die auch der Leser in Teilen mitmacht, insbesondere was Antoinette angeht. Sie eröffnet einen anderen Blickwinkel auf das Leben mit einem Kind mit speziellen Bedürfnissen und zeigt, dass wir alle nur Menschen sind, mit Fehlern und Makeln, Ticks und Eigenheiten, einige stärker sichtbar als andere.

Dass wir alle lernen müssen, damit zu leben.

Dass die Anderen gar nicht so anders sind, wenn man sich mal die Mühe macht, sie kennenzulernen und zu verstehen.

Und dass auch ein Happy End seine Schattenseite hat.

Gelesen von Lisa M. Réum

Blumenthaler Bücherstube

Autorin: Stephanie Knipper

Titel: „Das Mädchen, das den Blumen zuhörte“

Originaltitel: „The peculiar miracles of Antoinette Martin“

Erschienen: Januar 2019 (Deutsch)/ August 2016 (Englisch)

Verlag: Piper Verlag (Deutsch)

Algonquin Books (Englisch)

ISBN: 978-3-492-50234-4

Preis: 16,90€, Taschenbuch

Cover_Das Mädchen, das den Blumen zuhört, Stephanie Knipper