Kneipe in der Horizontalen

eine Momentaufnahme Das war schon ein grotesker Anblick, den unser gelieb-ter Horizont nach seiner Umgestaltung von einer gemütlichen Sportsbar in ein coronataugliches Kneipen-etablissement vollzogen hat.

Mit den vielen Klebestreifen am Boden, den verwirrenden Pfeilen von links nach rechts und
dem bunten Flatterband am geschlossenen Tresen, kamen wir uns vor, als wären wir im Sperrgebiet inmitten des kalten Krieges zu besten DDR-Zeiten. Aus der vermummten Komman-dozentrale hinter dem Tresen erschallten permanent Befehle und Anweisungen: „Sitzen blei-ben, Maske auf, Zurücktreten vom Tresen, Hände desinfizieren, einzeln auf die Toilette, Stop, du wirst platziert, Daten sofort in die Liste eintragen, Ge-tränke vom Servicepoint holen, Klappe und Abstand halten!“ Die Auserwählten, die sich
im Vorfeld mühsam einen Platz auf der VIP-Gästeliste gesichert hatten, nahmen es gelassen. Fleißig bestellten sie Getränke und freuten sich einfach nur wieder in ihrem Wohnzimmer zu sein. Entweder waren sie alle Masochisten, Verrückte oder Eventsüchtige. Was für ein Wahnsinn!
Und ganz so nebenher lief auch, oh Pandemiewunder, ein Fußballgeisterspiel.
Die Stadionatmosphäre schien nahtlos in den Laden überzu-schwappen. Wir waren unserer Mannschaft so nah wie nie. Stimmen hallten gleicherma-ßen beängstigend durch Raum, Stadion und Zeit. Der Beamer schien irgendwann die Lust auf das Spiel zu verlieren und fing bedrohlich an zu flackern. Keiner nahm es ihm übel, denn nach knapp siebzig Minuten hatte auch der letzte leicht beschwipste Fan in Grünweiß begriffen, dass Werder Bremen die Ungeschlagenserie des April nicht fortsetzen würde. Werder ist die einzige Konstante in diesem tristen Frühjahr. Farb- und planlos kamen die Kicker daher, ohne Mumm und Charak-ter. Die Mannschaft beschämte uns, die Helden der Ostkurve, in dem sie uns gleichzeitig die Hoffnung und die Ehre nahm. Wir waren zum ersten Mal froh Masken tragen zu dürfen, zogen uns diese gar hoch bis über die Augen. Ein Werder-Fan weint nicht. Nein, niemals!
Ob tatsächlich Tränen rollten, und wenn ja, aus Nostalgie- oder anderen Gründen, wird ein Geheimnis dieses magischen Abends bleiben.

Udo Schmidt, unser Kultwirt aus dem
www.horizont-bremen.de