Das neue Klopapier

Es ist Sonnabend. Seit drei Wochen saniere ich meinen Balkon. Pünktlich um 18 Uhr bekomme ich die Untermalung, die ich seit nunmehr 54 Jahren kenne. In den Türmen der Kirchen Alt-Aumund und Vegesack springt das Geläut an. Für meinen Papa war es das Zeichen, alles stehen und liegen zu lassen. Denn um 18.05 Uhr fängt bekanntlich die ARD-Sportschau an. „Sportschau-Glocken“ nannte mein Vater dieses traditionelle Einläuten des Wochenendes daher.

Während sich mein Papa ob schlechter Chancenverwertung seines Lieblingsvereins Borussia Mönchengladbach die Haare raufte, schruppte meine Mama den Sonnabend-Dreck von mir herunter. Dabei wunderte sie sich ein ums andere Mal kopfschüttelnd, wie ausgerechnet der schwarze Sand in meine Ohren kam. Nach knapp 45 Minuten war der Butscher sauber.

Bettfertig hüpfte ich zu Papa auf den Schoß, um mit ihm die letzten Minuten der Sportschau zu schauen. Damals hatte die Fußball-Bundesliga für mich noch etwas Unschuldiges. Heute ist Fußball für mich längst kein Sport mehr im üblichen Sinne. Er ist für mich nur noch ein Geschäft, das jeglichen Bezug zum Publikum verloren hat. Obendrein kenne ich keinen „Sport“, der ein so gewalttätiges Umfeld hat und so viele Polizeieinsätze herausfordert.

Logisch, dass die 18-Uhr-Glocken am Sonnabend für mich nichts weiter als Kindheitserinnerungen sind. Oder um es mit Heinrich Heine zu sagen: „Denke ich an Fußball in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.“ Dies gilt nicht nur für die Profis, sondern auch für überaus zahlreiche Amateure. Viel zu oft hat es in den vergangenen Jahren Polizeieinsätze während oder nach Spielen gegeben. Daran ändert die Tatsache nichts, dass es diesbezüglich in Bremen-Nord und umzu gefühlt ruhiger geworden ist.

Zurück zu den Sportschau-Glocken und zu meinem Balkon. Während ich die letzten Latten des neuen Zaunes an diesem Abend streiche, denke ich über die sogenannten Geisterspiele nach. Einmal mehr kommt mir in den Sinn, dass dies Menschen in einem Zustand geistiger Umnachtung beschlossen haben müssen. Dass die Stadion-Atmosphäre fehlt: Geschenkt! Vielmehr ärgert mich, dass die Vertreter der Deutschen Fußball-Liga (DFL) Herbeireden, Fußball sei gesellschaftlich und wirtschaftlich wichtig und ihre Argumente auch noch bei der Politik verfangen. Bremens Innensenator Ulrich Mäurer wirkt als Mahner wie der letzte Baum. Seine Amtskollegen der anderen Bundesländer sind längst eingeknickt.

Und dann das am Sonntagabend: In den Dritten der ARD hat sich wieder dieser Störfaktor eingeschlichen, der sich „Sportschau“ nennt. Statt gegenüber der DFL klare Kante zu zeigen, dass Geisterspiele Blödsinn sind, springen die Öffentlich-Rechtlichen auf den Zug mit auf. Schade. Auch, weil andere Sportarten in der Diskussion völlig untergehen. Fazit: Fußball in diesen Zeiten ist das neue Klopapier: Es gibt genug davon, aber es ist alles für‘n Arsch.

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