Andalusischer Frühling

Was hatte ich doch für ein Glück, durfte ich doch kurz vor der Schließung aller Grenzen wegen des Corona-virus noch schnell ein paar wunderbare Radrunden in Andalusien drehen. Um das Fernweh ein klein wenig am Köcheln zu halten, gehe ich mit euch zusam-men auf eine kleine Reise.

„Die Spanier sind komplett verrückt“, staunt mein Rad-kollege Laurent mit offenem Mund. Eigentlich sind wir nach Malaga gereist, um bei frühlingshaften Temperaturen Rad zu fahren und abends stilvoll mediterran zu speisen. Einen pompösen spanischen Karneval, schrill, bunt und laut, hatten wir nicht erwartet!
Der gemeine Andalusier neigt zur maßlosen Übertreibung, wenn es um das Feiern von großen Festen in der Öffentlich-keit geht. Die Stadt ist komplett illuminiert, während die kostü-mierten Massen sich trunken vor Freude dicht an dicht von Kneipe zu Kneipe drängen. Und ich kann euch sagen, in Malaga gibt es sehr viele Kneipen.
Mit dem Schlafen ist es des-wegen so eine Sache, denn der ohnehin schon laute Spanier ist in diesen närrischen Zeiten noch ein bisschen lauter als
er es ohnehin schon ist. Und irgendwann geht auch er nach Hause, nahe an unseren einfach verglasten Fenstern vorbei… Trotzdem ist es schön, endlich wieder die Sonne am Himmel zu sehen und das Gefühl von Wär-me auf der Haut zu spüren. Bei hervorragenden Bedingungen lassen wir es deshalb sportlich ordentlich krachen, vornehm-lich im bergigen Hinterland, wo es kaum Verkehr gibt und die Wiesen noch grüner sind als in den Küstenregionen. Der liebliche Anblick der Land-schaft täuscht allerdings über die Anstrengungen hinweg, die uns die oft stark ansteigenden Straßen bescheren. Manche Rampen sind deutlich über 20% steil, insbesondere dann, wenn uns der vom Computer ge-baute Track über Nebenstraßen führt, die an kleinen ländlichen Anwesen vorbei führen, an deren Zäunen kläffende Hunde die einzigen Radsportfans der Umgebung zu sein scheinen. Wenn sich unsere Vorderräder leicht von der buckligen Straße abheben und unser erbärm-liches Keuchen selbst die Köter für einen Moment zurück-schrecken lässt, scheinen wir etwas mit ihnen gemein zu haben: Uns hängen die Zungen genauso weit aus dem Hals wie den armen Tieren selbst. Es ist aus diesen Gründen unbedingt geraten, sich auf den Haupt-straßen des Landes zu bewegen, auch wenn man dabei ab und an auf verschiedensten Auto-bahnauffahrten steht oder mit lehmverklebten Radschuhen feststellen muss, dass auf der Karte eingezeichnete Straßen in der Realität einfach nicht mehr existieren. Ortskennt-nisse sind in Malaga unbedingt notwendig, will der verträumte Radler irgendwann das wunder-bare Hinterland erreichen.
Ist der Kopf dann endlich frei und die Beine euphorisch ganz allein ihren Dienst tun, sind die körperlichen Anstrengungen des Rennradfahrens nahezu ein Genuss. Wenn wir uns Kehre um Kehre immer weiter dem Himmel nähern, können wir uns für den Moment einfach nichts Besseres vorstellen, als genau das zu tun, was wir gerade tun. Adrenalin wird literweise aus-geschüttet und geben dem Leben einen Sinn, den Sinn, nach dem Menschen seit Ur-zeiten auf ihre ganz spezielle Art schon immer suchen. Nach sechs Tagen Training haben wir ganz viele Kilometer und noch mehr Höhenme-
ter bewältigt und ganz viele Cafe con leche verdrückt. Die spanische Lebensart mit-
ten im deutschen Winter ist Balsam für die Seele und mehr als nur ein Lebensgefühl. Auch wenn die leichte Bräune auf Gesicht und Beinen zügig verblasst, werden die Erinne-rungen an diese wunderbare Zeit noch lange bleiben.

Udo Schmidt, unser Kultwirt aus dem
www.horizont-bremen.de